Bahnalitäten
Die K-Fragen - vom Wesen einer Modellbahn
Kompromiss akzeptiert
Der wichtigste Schritt in die Welt der Modellbahn ist die Erkenntnis, dass das Vorbild nicht annähernd realistisch nachgebildet werden kann. Muss es aber auch nicht; Hollywood-Kino, Comiczeichner und Künstler zum Beispiel vertrauen doch auch auf die Phantasie des Menschen. Beim zweiten Nachdenken ist die getreue Nachbildung des Vorbildes nicht unbedingt erstrebenswert, da dies schnell langweilig werden kann. Das Ziel ist in Enndingen ein aktiver und abwechslungsreicher Betrieb und nicht etwa eine Landschaftsstudie. Selective compression ist das Zauberwort.
Kompromiss Platz
Ein eigenes Bahnzimmer ist ein Luxus, den ich sehr genieße und schätze. Dennoch sind meine gut 30 Meter verschlungene Hauptstrecke (als Kreisverkehr) im Maßstab 1:160 umgerechnet gerade mal lächerliche 5 km Strecke verteilt auf ca. 16 ha (0,16 km²) Fläche im Original. Ich simuliere großen Bahnverkehr mit einer Streckenführung, die eher einer Straßenbahn in einem Stadtzentrum gerecht würde.
Wie viel unrealistischer wäre unter diesen Bedingungen nun eine Bahn im beliebten Maßstab H0 1:87 (Stichwort: Märklin)?
Kompromiss Betriebsmöglichkeiten
Dieser hängt eng mit dem Platz zusammen. Meine Bahn ist fahren, rangieren und schauen. Also habe ich wie der typische Betriebsbahner eine höchst unrealistische Streckenführung. Diese wird geschickt getarnt durch die Landschaft, so dass das Ergebnis sich dennoch sehen lassen kann. Dazu ein Videoclip.
Kompromiss Zeit
Ich investiere viel Zeit in mein Hobby, aber mein Beruf ist es eben nicht. Damit ich mit der Anlage vorankomme, stecke ich also nicht beliebig viel Zeit in eine Szene. Beim Gleismaterial z.B. greife ich auf fertige Stücke der großen Hersteller zurück und verzichte auf Flexgleise und Selbstbau-Weichen. Ich bin eben mehr Modellbahner als Modellbauer und habe nicht die Geduld, Monate oder gar Jahre zu bauen, um dann endlich einen Schienenbus von A nach B und wieder zurück fahren zu können.
Kompromiss Gesamtkonzept
Besonders stimmig kann eine Anlage als Ganzes geplant und umgesetzt werden. Dies bedingt aber einen endgültigen Standort, unveränderliche Ausmaße und Erfahrung. Des weiteren ist wahrscheinlich, dass es eine sehr lange Bauphase gibt, die zwischenzeitlich kaum Möglichkeiten zum Fahrbetrieb lässt. So macht mir mein Hobby keinen Spaß.
Enndingen entsteht daher abschnittsweise. Dies hat für mich als Nichtprofi entscheidende Vorteile: ich kann wählen, ob mir gerade nach Betrieb oder Weiterbau ist. Ich kann die weitere Planung den bisherigen Erfahrungen im Betrieb anpassen. Ich kann die Anforderungen an Gelände und Technik für den nächsten Abschnitt durch meine verbesserten Fähigkeiten Stück für Stück erhöhen und dem aktuellen Angebot der Hersteller anpassen.
Kompromiss Kosten
Aus Kostengründen arbeite ich auch gerne mit Material aus zweiter Hand. Dafür darf ich an die Qualität der Komponenten nicht die allerhöchsten Maßstäbe ansetzen.
Auch eine detaillierte und durchgestaltete Landschaft kostet richtig Geld. Daher gibt es in Enndingen einige Highlights aber auch Ecken mit günstigen Gewächsen von der Resterampe.
Kompromiss Detaillierung
Siehe Kompromiss Zeit und Kompromiss Kosten. Meine Bahn ist nicht Finescale und die filigransten Stücke der Anlage sind immer noch die fertig gekauften Modelle von Loks und Wagen. Auch dazu ein Videoclip.
Kompromiss Maßstab
Ich halte wenig von dem Diktat totaler Maßstäblichkeit. Für mich ist der sichtbare Eindruck wichtiger. Gerade die Kunst der gezielten Überhöhung lässt das Modell echt erscheinen. Oder anders gesagt: maßstäblich wirkt unecht.
Kompromiss Modelle und Epoche
Eine kleine, zwei- oder dreiachsige Lok (kleine Rangier- und Dampfloks) ist in Spur N mehr ein Highlight für einen kurzen Auftritt vor Publikum. Als Alltagsmodell zum 'Betrieb machen' taugen sie selten. Zu oft gibt es Aussetzer und zu gering ist die Zugkraft, als dass es auf Dauer Spaß macht, mit diesen Modellen zu spielen.
Dampfloks sind in N leider auch eine Achillesferse. Es ist kaum ein Modell zu finden, das nicht auf Weichen ab und zu entgleist - wenn nicht vorwärts, dann rückwärts. Es muss gar nicht häufig sein, aber letztlich nervt es. Zudem sind die meisten Dampfer formbedingt auch keine Zugkraftwunder. Ich beneide daher keinen N-Bahner, der sich für Epoche I oder II entscheidet.
Kompromiss (Betriebs-)Sicherheit
Die Sicherheit des Zugverkehrs ist beim Vorbild essentiell. Zu schwerwiegend sind die möglichen Folgen. Anders bei der Modellbahn - ein Unglück bleibt für Material und Personen meist folgenlos. Der nötige Aufwand die Anlage durch Blöcke in unabhängige Abschnitte zu teilen ist beachtlich. Außerdem fahre ich meine Züge am liebsten selbst. Ich verzichte daher auf jegliche automatische Sicherung des Betriebes. Dafür optimiere ich meine Stellpulte und habe aktuelle Handregler, die mir den direkten Zugriff auf jeden fahrenden Zug erlauben.
Beim Ausweichgleis schreibt z.B. das Vorbild den Flankenschutz durch eine zusätzliche Weiche vor. Ein Detail dass ich in Enndingen wie auch eine vorbildliche Signalisierung ebenfalls geflissentlich ignoriere (siehe auch Kosten).
Kompromiss Bepflanzung
Der Bewuchs durch Bäume, Büsche und Hecken ist doch gegenüber dem Vorbild arg zurückgedrängt. Allerdings will ich meine Bahn ja auch sehen, was beim Vorbild vielfach unerwünscht ist.
Kompromiss Tunnel
Keine unnötigen Tunnel, ein Tunnel ist verlorene Strecke für das Erlebnis Modellbahn. Andererseits ist der Tunnel das Mittel zur Wahl, einen allzu simplen Gleisverlauf zu tarnen und im günstigen Fall beim Publikum etwas Verwirrung zu stiften. Auch eine Wendel und ähnliche absurde Modellbahn-Kunstbauten sind besser nicht sichtbar.
Kompromiss Wartung
Die Kunst ist, das notwendige nicht allzu offensichtlich zu machen. Zur Wartung muss man nun mal an möglichst jeden Zentimeter Gleis heran. Die Landschaftsplanung muss das berücksichtigen.
Kompromiss Wirtschaftlichkeit und Effizienz
Es geht doch auch um eine Show von Loks und Wagen - je mehr und abwechslungsreicher, je besser. Auch wenn dann eine Garnitur nur selten fährt. Im Vorbild würde der Betrieb dagegen aus wirtschaftlichen Gründen mit möglichst wenig Materialeinsatz realisiert. Dieser Kompromiss ist also einer in die andere Richtung. Effizienz ist in Enndingens Bahnbetrieb ein ziemliches Fremdwort.
MODELLbahn oder modellBAHN
MODELLbahn
Der Schwerpunkt liegt bei der möglichst vorbildgerechten Nachbildung von Landschaft, Strecke und Betriebsablauf. Überbahnung, Rundkurse und unnatürlicher Streckenverlauf sind verpönt. Der eingleisige Nebenstreckenbetrieb von Punkt-zu-Punkt ist für solche Anlagen typisch. Auf lange Züge und / oder schnelle Einheiten wird verzichtet. Die dargestellte Epoche sind meist die 50er bis 70er-Jahre. Ein vorbildgerechtes Betriebskonzept rundet die Sache ab. Es ist die typische Anlage für eine Ausstellung. Leider ist der Spielspaß dann für so manchen doch nicht auf Dauer fesselnd und man sehnt sich nach der Bauphase zurück. Abriss der Anlage und ein Neubeginn ist oft die Folge. Für mich so unverständlich und frevelhaft, wie jede mutwillige Zerstörung eines Kunstwerkes.
modellBAHN
Der Schwerpunkt liegt im Betrieb möglichst vieler Varianten und Möglichkeiten. Lange Züge, hohe Geschwindigkeit (TEE, ICE), Gleise übereinander und untereinander durch. Fahren mit Handsteuerung. Auf Wunsch aber auch unablässige Rundfahrten ohne notwendigen manuellen Eingriff. Den langen Zügen in Ruhe nur zusehen. Großer Bahnhof - kleine Stadt, viele Gleise, viele Züge. Eine Überbahnung und ein nicht vorbildhafter Streckenverlauf sind unvermeidbar, jedoch kann die Landschaft durch geschicktes Täuschen und Tarnen den betriebstechnischen Unsinn zu einem guten Stück verbergen. Eine Herausforderung, der sich der Betriebsbahner gerne stellen wird. Ist der Lohn doch ein anhaltender Betriebsspaß, selbst wenn im fortgeschrittenen Stadium der Anlage der Bau nicht mehr im Vordergrund steht.
Wie sich Enndingen entwickelt hat
- Der dauerhafte Spaß am Spiel erfordert eine kritische Masse an Fahrmöglichkeiten. Und diese ist nicht eben gering. Eine kleine Bahn bringt's einfach nicht.
- Digital fahren ist ein Muss, ich kenne kein rationales Argument, das für analog spricht.
- Gleis geht vor Gelände. Lieber ein Gleis zu viel als zu wenig.
- Ein Gleisplan für einen dauerhaft fesselnden Betrieb ist eine genauso große Aufgabe, wie das Gelände. Planen ist gut - Praxis ist besser. Jede Idee soll sich im Betrieb beweisen. Daher erst die Schienen, danach die Landschaft. Und öfters auch ein Umbau von Details. Die bessere Bahn entsteht in einem evolutionären Prozess.
- Vereinfache nicht den Betrieb - im Gegenteil, erschaffe Probleme. Ein Kopfbahnhof schlägt jeden Durchgangsbahnhof.
- Eine Kehrschleife bereichert den Betrieb ungemein. Den Zug wenden zu können, ist eine feine Sache.
- Güterwagen muss man wegschaffen können. Es ist öde, wenn diese zwangsläufig zum einzigen Bahnhof zurück müssen. Daher sind Industrieanschlüsse und Freiladegleise willkommen.
- Züge muss man auch wegschaffen können. Ein Schattenbahnhof ergänzt seit 2011 die Schublade und sorgt für Abwechslung.
- Betrieb ist mir letztlich wichtiger als bauen. Trotzdem: eine interessante Landschaft mit vielen kleinen Szenen bereichert eine Bahn sehr. Zudem: an der Landschaft zeigt sich, welches Geschick und welche Fantasie in einem steckt. Basis der ganzen Sache ist aber der Betrieb.
- Betrieb bedeutet leider auch, dass die Bahn Schaden an Landschaft und Material erleidet. Wartung und Reparatur auch von Weichen und Antrieben muss mit akzeptablem Aufwand möglich sein. Daher geschraubte Gleise und 'oberirdische' Weichenantriebe.
- Meine Bahn abreißen und in einem nächsten Versuch unter Vermeidung bisheriger Fehler eine neue Bahn bauen? Vergiss es! Enndingen ist nicht perfekt, aber betriebsbereit.
Besucher von Enndingen zeigen es immer wieder: ist jemand an der Bahn interessiert, will sie / er vor allem fahren. Kann jemand mit Modellbahn nichts anfangen, wird auch die Landschaft nur für kurze Zeit die Aufmerksamkeit gewinnen.
Enndingen ist kein Diorama mit Gleisanschluss, welches am Besten in einem Museum hinter Glas steht, sondern eine seit Jahren rege bespielte Bahn, die sich den äußeren Umständen anpassen muss und sich trotzdem weiter entwickelt.
Fast wie aus dem Lexikon
Eine Modelleisenbahn ist ein Unterfangen, gerichtet auf wiederholte Im-Kreise-Führung von Statuetten und Attrappen über sehr übersehbare Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Lage zu Transportzwecken nicht zu gebrauchen sind. Sowie diese der Erzielung einer raketengleichen Geschwindigkeit der Fortbewegung zu ermöglichen bestimmt ist und die durch ihre Eigenart in Verbindung mit der außerdem zur Erzeugung der Kreisbewegung benutzten Naturkraft bei der Inganghaltung derselben eine euphorisierend-hypnotische Wirkung zu erzeugen fähig ist.
Wer eine solche in der gekennzeichneten eigenartigen Weise wirkenden Verknüpfung der Metallbahnen und sonstigen Betriebskraft zum Zwecke eigenen und fremden Ergötzens in Funktion setzt, ist Abhängiger der Modellbahn im Sinne gesundheitsbehördlicher Definition der Manien und Suchtkrankheiten.
Autor: Unbekannt, Quelle: Forum amerikanische Eisenbahn.